Interview

Daniel Süsstrunk für den Internetblog von Daniel Forsnabba

Bitte stell dich meinen Lesern kurz vor. Wer bist Du und was machst Du?

Ich wurde vor 50 Jahren in der Schweiz geboren und bin bei Basel aufgewachsen. Meine große Liebe gehört seit ich denken kann der klassischen Musik. So begann ich mit dem Violinstudium, in der Absicht, diese Leidenschaft zum Beruf zu machen. Doch eine schwere Krankheit, die in früher Jugend auftrat, stellte sich in den Weg und lenkte mich in eine andere Richtung. Durch eine glückliche Begegnung lernte ich die Alexander-Technik kennen und meiner inneren Stimme folgend stürzte ich mich 1979 begeistert in die dreijährige Ausbildung in London. Nachdem sich mein Gesundheitszustand erheblich gebessert hatte, konnte ich das unterbrochene Musikstudium in Deutschland fortsetzen. Meinen Lebensunterhalt verdiente ich nebenbei mit dem Unterrichten der Alexander-Technik. Das war eine spannende Zeit, da die Methode in Europa praktisch unbekannt war und ich einer der ersten anerkannten Lehrer Deutschlands war.

Seit 1986 lebe und arbeite ich in München. Der Schwerpunkt meiner Arbeit lag stets in der Verbindung von AT mit dem Musizieren. Ich fing an regelmäßig Gesangsstunden zu nehmen, ohne eine bestimmte Absicht zu haben. Während 14 Jahren habe ich auch eine Ausbildung für AT Lehrer geleitet.

1995 lernte ich meinen Lehrer und Freund Johannes Romuald aus Wien kennen, der mir über all die Jahre die alte Tradition des Bel Canto, wie sie in Mailand gelehrt wurde, beibrachte. Seit vier Jahren gebe ich dieses Wissen an professionelle Sänger und an Bläser weiter.

Was ist “Belcanto”-Gesang und was fasziniert dich daran?

Das ist eine sehr schwierige Frage, die ich in diesem Rahmen und überhaupt nur andeutungsweise beantworten kann.

Der Begriff Belcanto deutet auf jenen schönen Gesang hin, bei dem das Gewicht auf vollkommener Tongebung, Klangschönheit und Ausgeglichenheit der Stimme liegt. Dies sind aber nur die stimmlichen Mittel, um den stilistischen Anforderungen eines italienischen Gesangsstils gerecht zu werden. Meistens ist das frühe 19. Jahrhundert mit den Vertretern Rossini, Bellini und Donizetti damit gemeint. Die Ära des ursprünglichen Belcanto, welches der Epoche voraus ging, war die Zeit der Kastraten des 17. Und 18. Jhts. mit den Werken Vivaldis, Scarlattis und Händels. „Bei einem echten Belcantosänger geht es nicht nur um Geschmeidigkeit und Beweglichkeit, sondern es kommt ein Element von Phantasie dazu. Wenn man Fernando De Lucia hört, ist der erste Eindruck: wie poetisch. ……. Die Vorstellung des Sängers ist lebendig geworden, das sind nicht mehr nur Noten auf dem Papier.“ (John Steane)

In meiner täglichen Arbeit geht es in erster Linie um die Befreiung der Stimme und das Erlernen der grundlegenden Techniken des Belcanto Gesangs. Ich versuche sie im Folgenden zu beschreiben.

Eine ebenmäßige und freie Stimme zeichnet sich durch eine vollkommen ruhige Atemführung aus. Es sollte keine Luft (durch die Sprache) verloren gehen und der sparsame Verbrauch des Atems ermöglicht das Singen endlos langer Phrasen. Der Kehlkopf und die Stimme darf nicht unter Druck gesetzt und nach oben geschoben werden (also kein Stützen, wie es im deutschen genannt wird). Man lehnt die Stimme im Gegenteil an, d.h. lässt sie auf dem Atem schweben. Am Ende einer Phrase nimmt der Körper die verbrauchte Luft reflektorisch wieder ein, d.h. der gesamte Sing- oder Atemmechanismus bleibt bis zum Ende in derselben Spannung und beendet die Phrase durch ein Hineinschnellen der Luft.

Eine Qualität des ohne falschen Druck Singens ist die Flexibilität des Tones hörbar. Er hat einen klaren Beginn, also hat eine Art „Kopf“ und schwillt dann ab oder an (Messa di voce in der ursprünglichen Bedeutung). Er sollte schwebend klingen – was durch den gleichmäßig, sparsam ausströmenden Atem hervor gerufen wird – über ein großes Volumen (Vibration) verfügen und tragfähig sein. Das darf nicht mit Lautstärke verwechselt werden, denn diese Eigenschaft findet man auch in den leisesten Tönen. Belcanto singt man aus dem Piano heraus, aus dem feinen, dem eleganten, von dem es anschwillt ins volle und kräftige, um wieder zurück zu kehren ins zarte. Ein guter Sänger geht nur zeitweilig an seine obere Grenze, am Besten niemals ans Limit, um sich und der Stimme nicht zu schaden.

Bedingt durch den freien Atem und saubere Vokale, die von unten bis oben gleich bleiben, beginnt die Stimme am richtigen Platz zu „sitzen“. Sie entfaltet zunehmend ihre persönliche Klangfarbe und gewinnt an Geschmeidigkeit und Virtuosität.  Die Fähigkeit mühelos von einer Note zur nächsten zu wechseln wird in Koloraturen, Trillern, Appoggiaturen und Verzierungen trainiert.

Wer sich dafür interessiert, wie einige dieser Begriffe klingen, kann sich ein Gespräch mit Demonstrationen zwischen Sutherland, Pavarotti, Horn und Bonynge ansehen: How to sing Belcanto I and II http://www.youtube.com/watch?v=mk06RvH96NU  http://www.youtube.com/watch?v=XhwkHts8QTs

Welche Sänger (bzw. CDs) kannst du als Hörbeispiele empfehlen um einen Eindruck davon zu bekommen?

Es gibt eine große Anzahl von Aufnahmen historischer Sänger, die auf CD wieder erhältlich sind und uns einen wenn auch eher blassen Einblick ihrer Kunst vermitteln. Dem ursprünglichen Belcanto (vor Caruso) kommen vielleicht Sänger wie Fernando De Lucia, Hermann Jadlowker und Leo Slezack am nächsten.

Die Tenöre John McCormack, Jussi Björling, George Thill, Iwan Koslowski, Léopold Simoneaux, Nicolai Gedda, und natürlich die Italiener Dino Borgioli, Tito Scipa, Giuseppe di Stefano, die Spanier Miguel Fleta und Antonio Cortis und der leider wenig bekannte Portugiese Tomaz Alcaide sind nur eine kleine Auswahl meiner Lieblingssänger.

Bei den Sopranen Selma Kurz, Toti dal Monte, Maria Galwany, Maria Ivogün, Rosa Ponselle, Claudia Muzio, Maria Caniglia, Maria Callas.

Ein deutscher Bariton, der in Mailand studierte und diese Schule in meisterlicher Weise wiedergibt ist Willi Domgraf-Fassbaender.

Bei den Sängern und Sängerinnen, die wir uns anhören und –sehen können habe ich einige gute links herausgesucht. 

Rosa Ponselle

http://www.youtube.com/watch?v=ukJPsU9zEtk Ernani (herrlicher sound)

Joan Sutherland

http://www.youtube.com/watch?v=IoM1hYqpRSI Lied The Bohemian Girl

Beverly Sills

http://www.youtube.com/watch?v=SEuUvGVbSxY The Rose and the Nightingale

Leyla Gencer

https://www.youtube.com/watch?v=czyTKHIhGsA Verdi Aida

http://www.youtube.com/watch?v=xxnYGDtFs3g&feature=related Trovatore

Montserrat Caballé,

http://www.youtube.com/watch?v=ZwE0S6xUa2s Bellini Il pirata 1966

Maria Callas

https://www.youtube.com/watch?v=TYl8GRJGnBYBellini Norma

https://www.youtube.com/watch?v=I4cSVnqGmOcVerdi Traviata

Anna Moffo

https://www.youtube.com/watch?v=KSJLY5Oap1I Gounod Faust Juwelenarie

Marilyn Horn

https://www.youtube.com/watch?v=GnLR2ZLv_U4 Rossini una voce poco fa

Cecilia Bartoli

https://www.youtube.com/watch?v=DaKX21earkk Parto, parto Titus Mozart

http://www.youtube.com/watch?v=qVZNx39xYiA  La Cenerentola Rossini

Anne Sofie von Otter

https://www.youtube.com/watch?v=FngWzmxK0z8 Händel Ariodante

Andreas Scholl

https://www.youtube.com/watch?v=f8QLSvzU7G8 Deutsche Barocklieder

Alfredo Kraus

https://www.youtube.com/watch?v=1VYBZYajMmc La donna e mobile 1958

https://www.youtube.com/watch?v=O3rVmE0Jubo Pecheurs de perles 1970

Luciano Pavarotti

http://www.youtube.com/watch?v=Dzx5JM6fW7A Ingemisco Requiem 1967

http://www.youtube.com/watch?v=ojeLyPo_Wz4 Ave Maria 1978

https://www.youtube.com/watch?v=Y9268sIt5mk Boheme Che gelida manina 1979 La Scala Carlos Kleiber

Rolando Villazon

https://www.youtube.com/watch?v=h8_AfrqbT5k Una furtiva lagrima, Wien

Cesare Siepi

https://www.youtube.com/watch?v=JjQ9ksODSXE Don Carlo 1970

https://www.youtube.com/watch?v=KFHyyVcsRQADon Giovanni Furtwängler

Tito Gobbi

https://www.youtube.com/watch?v=uS8-iWs-ZLI Rigoletto 1965

 

Was ist DEINE Gesangsphilosophie?

 

In dem obigen Punkt habe ich versucht die technischen Belange des Singens  zu beschreiben. Dies sind die Voraussetzungen um professionell zu singen. Darunter verstehe ich verlässlich über ein Instrument zu verfügen, das jederzeit und reproduzierbar alle Schwierigkeiten meistern kann und kein Produkt des Zufalls ist. Erst dadurch ist es möglich der Musik gerecht zu werden und sie plastisch und glaubhaft auszudrücken: Emotionen, Gefühle und Empfindungen der darzustellenden Charaktere durch Dynamik, Farben, Dramatik, Glanz, Lyrik, etc. Ich möchte von dem Gesang der Sänger und Sängerinnen berührt werden und als veränderter Mensch die Oper oder den Konzertsaal verlassen. In der heutigen Zeit der Tonkonserven, TV und Videos und der Masseneventveranstaltungen ist dies nötiger denn je.

Du verwendest die Alexander-Technik auch im Gesangsunterricht. Was ist das Besondere an dieser Kombination? Welchen Nutzen können Sänger aus dem Erlernen der Alexander-Technik ziehen?

Mit Sängern und Sängerinnen arbeite ich stimmlich und musikalisch. Nur in Ausnahmen wende ich AT Arbeit im Liegen an, z.B. um die Atmung zu befreien. Gelegentlich benutze ich die Hände zur Verdeutlichung, um den Schüler etwas bei sich oder an mir spüren zu lassen. Falls bei einem Schüler die körperlichen Grundlagen derart mangelhaft sind, dass ein normaler Gesangsunterricht nichts bringt, dann rate ich ihm erst einmal dieses Defizit mit Hilfe der Alexander Methode oder einer anderen Arbeit anzugehen und zu verbessern. Es versteht sich von selbst, dass – auch wenn ich keine oder nur sparsam die Berührung der Hände einsetze – ich dennoch über dies Wissen verfüge und es ständig anwende.

Welches Unterrichtsangebot hast Du? Was würdest du interessierten Sängern empfehlen?

Ich unterrichte selbständig, also an keiner Institution. Dies hat den Vorteil, dass ich frei von äußeren Zwängen arbeiten kann. Die Betreuung eines Sängers erfordert ein enormes Maß an Engagement, das bedeutet auch viel Zeit, und dafür ich setzt mich mit allen Facetten meiner Persönlichkeit für sein Vorankommen ein. Ich bin gerne dazu bereit, fordere aber im Gegenzug denselben Einsatz von dem Studenten. Es ist viel Fleiß, Arbeit und Ausdauer nötig, um das Singen der Belcanto Tradition gründlich zu studieren und erfolgreich anwenden zu können. Doch der Einsatz wird belohnt durch die Freude, die einem die Kunst mit sich und der Stimme umzugehen schenkt.